Aufbruch wagen – Zähne zeigen
Ein ehrgeiziges Ziel haben sich die IG Metall und rund 65 Betriebsräte des Kfz-Handwerks in NRW gesteckt: Ab 2012 soll wieder ein Tarifvertrag für alle Beschäftigten der Branche gelten. Das vereinbarten die Teilnehmer einer Kfz-Konferenz am vergangenen Wochenende, 26./27. November, im IG Metall-Bildungszentrum Sprockhövel.
"Bunte Knete“ – so nennt es IG Metall-Bezirksleiter Oliver Burkhard: Wohl nirgends ist die Tariflandschaft so zersplittert wie im nordrhein-westfälischen Kfz-Gewerbe. Für die 80.000 Beschäftigten in den 8800 Autohäusern gelten mindestens vier verschiedene Regelungen: Für schätzungsweise 65 bis 70 Firmen gelten die Tarifverträge, die die IG Metall mit der Tarifgemeinschaft der Kfz-Arbeitgeber abgeschlossen hat; für rund 280 Betriebe sind Haustarifverträge verbindlich, die von der IG Metall und der örtlichen Geschäftsleitung 2008 ausgehandelt worden sind. Erforderlich war das, weil die Landesinnung des Kfz-Gewerbes sich für nicht tariffähig erklärt hatte. Gleichwohl hat sie 2010 mit der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) erneut Tarifverträge geschlossen; wie viele Unternehmen diese Verträge anwenden, ist unbekannt. Die meisten Unternehmen der Kfz-Branche dürften tariflos sein; sie orientieren sich entweder an den IG Metall-Tarifen oder bezahlen ihre Beschäftigten nach Lust und Laune, verteilen "Nasenprämien". Einen Rechtsanspruch auf tarifvertragliche Leistungen hat dort niemand.
Was passiert, wenn nichts passiert?
Ausführlich diskutierten die Konferenzteilnehmer in Sprockhövel die Frage, „was passiert, wenn nichts passiert?“ Die Spaltung der Belegschaften in solche mit guten, schlechten oder gar keinen Tarifverträgen werde vertieft, hieß es. Der Druck auf die Beschäftigten werde wachsen, sprich Lohndumping und Billigkonkurrenz an der Tagesordnung sein. Die Einkommensunterschiede würden sich vergrößern, die Arbeitsbedingungen – Wochenarbeitszeit und Urlaubsdauer – sich verschlechtern. Manche befürchten, unbezahlte Mehrarbeit leisten zu müssen oder weniger Weihnachtsgeld zu erhalten, andere die Rückkehr zu 40-Stunden-Woche und regelmäßiger Samstagsarbeit oder die Streichung von Urlaubstagen (laut Gesetz haben Arbeitnehmer nur Anspruch auf 24 Werktage Urlaub).
Erfolgreich gegensteuern
Um erfolgreich gegenzusteuern und dieses Desaster im Kfz-Gewerbe zu verhindern, machten die Teilnehmer zahlreiche Vorschläge: Die Metaller im Betrieb müssten den Arbeitgebern öfter mal die Zähne zeigen, hieß es – und den Beschäftigten die Angst nehmen und ihnen Mut machen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Andere schlugen vor, häufiger mit den Kollegen am Arbeitsplatz über Lohn und Gehalt, die richtige Eingruppierung und die zunehmende Leistungsverdichtung zu reden, in mehr Tarifverträgen einen Bonus exklusiv für IG Metall-Mitglieder zu verankern, spannende Mitglieder- und Betriebsversammlungen zu organisieren und ein Aktiven-Netzwerk – auch betriebsübergreifend – zu knüpfen. Ein weiterer Vorschlag lautete: Betriebsräte übernehmen eine Patenschaft für andere Betriebe, um deren Betriebsrat zu unterstützen oder dort überhaupt erst für die Wahl eines Betriebsrats zu sorgen. Allen Teilnehmern war klar: Von allein wird nichts besser, wir müssen schon selbst dafür sorgen. „Es kommt auf unsere aller Engagement an“, sagte IG Metall-Bezirksleiter Oliver Burkhard. Um das gesteckte Ziel – einen neuen Flächentarifvertrag – zu erreichen, brauche es einen langen Atem. „Das ist kein Sprint, das ist ein Marathon.“
Stärker werden
Manche Betriebsräte verpflichteten sich, jeden Monat mindestens einen Beschäftigten für die IG Metall zu gewinnen – und mindestens einen Kollegen zur nächsten Kfz-Konferenz mitzubringen; die nächste Zusammenkunft soll schon Anfang 2011 stattfinden.