Aktuelles Industrielle Arbeit 2020
10/03/2016

4:0 für uns – die neue Arbeitswelt

Startschuss für „Arbeit 2020“: Die IG Metall und die Betriebsräte von 14 Firmen in NRW leisten Pionierarbeit – sie wollen die Chancen von „Industrie 4.0“ nutzen.

Startschuss für „Arbeit 2020“: Die IG Metall und die Betriebsräte von 14 Firmen in NRW leisten Pionierarbeit – sie wollen die Chancen von „Industrie 4.0“ nutzen.

Ein ungewöhnlicher Satz aus dem Mund eines IG Metall-Bezirksleiters: „Wir haben kein Patentrezept“, sagte Knut Giesler heute im IG Metall-Bildungszentrum Sprockhövel zum Auftakt der Prozessbegleitung des Projektes Arbeit 2020“. Vor Giesler sitzen im Halbrund 70 Betriebsräte, Gewerkschaftssekretäre und Berater. „Kein Patentrezept“ soll heißen: Es gibt keine fertigen Lösungen, wie die vierte industrielle Revolution – die digitale Vernetzung von Menschen, Maschinen und Produkten – zu gestalten ist. Und das gilt sowohl für die Unternehmen als auch für die Interessenvertretungen. „Wir wissen aber, dass wir diese Veränderung der Arbeit gestalten wollen“, sagte Giesler. „Das erwarten unsere Mitglieder von uns.“ Agieren statt reagieren; selbst steuern statt gesteuert zu werden.

Die neue Arbeitswelt entstehe gerade, sagte Giesler, die Gewerkschaften müssten dafür sorgen, dass auch dabei die Interessen der Beschäftigten gewahrt bleiben, sprich „gute Arbeit“ entstehe – sichere, qualifizierte und besser bezahlte Arbeit, individuell gestaltbare und mitbestimmte Arbeit.

„Industrie 4.0“ – das gibt es in den Betrieben als schlüssiges Gesamtwerk noch gar nicht, doch an den Bausteinen dazu, an den rein technischen Lösungen, wird intensiv gearbeitet. Für Knut Giesler ist Digitalisierung und Vernetzung auch ein hoch politisches Projekt, da es die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten in hohem Maße beeinflusst. Für die Mitgestaltung brauche die IG Metall ihre Mitglieder und deren Beteiligung. „Arbeit 2020“ ist für den IG Metall-Bezirksleiter zudem ein Projekt, in das sowohl die Beschäftigten in der Produktion als auch die Produktionsplaner, die Ein- und Verkäufer, die IT-Fachleute, Hochschulabsolventen, Doktoranden – kurz alle Beschäftigten – einbezogen werden sollen. Giesler: „Was wir jetzt brauchen ist ein umfassender Dialog für gute Gestaltungslösungen im gesamten Betrieb, von Betriebsrat und IG Metall organisiert – im offenen Austausch mit der Unternehmensleitung.“

Ein Spürhund – die Betriebslandkarte

Ein Hebel dafür ist die sogenannte Betriebslandkarte, ein schon erprobtes „Tool“ (Werkzeug): Die Betriebslandkarte ermöglicht es, erste Ansätze von Industrie 4.0 im Betrieb und deren Auswirkungen aufzuspüren – positive wie negative. Abteilung für Abteilung wird festgestellt, ob eine sich selbst steuernde und/oder vernetzte Produktion in Planung oder bereits vorhanden ist, ob Vernetzung nur betriebsintern stattfindet oder sogar schon mit Externen. Werden Arbeitsplätze ab- oder aufgebaut? Wird die Qualifikation der Beschäftigten aufgewertet oder entwertet? Werden die Arbeitsbedingungen besser oder schlechter, steigt zum Beispiel die Belastung der Beschäftigten – ja oder nein?

Die IG Metall hilft Betriebsräten, mit dem Werkzeug „Betriebslandkarte“ zu arbeiten. Auch bisher gering organisierte Beschäftigtengruppen dürften interessiert sein, dabei mitzuwirken und Vorteile aus den Erkenntnissen und Gestaltungsinitiativen zu nutzen. Oliver Dietrich, Betriebsrat bei Böllhoff in Bielefeld, berichtete, dass er auf die Mitarbeit der Beschäftigten angewiesen ist: „Ohne die Informationen aus der Belegschaft bin ich als Betriebsrat doch blind.“ 

Die IG Metall bietet Betriebsräten begleitend ein Kommunikationstraining an, um die Beschäftigten umfassend zu informieren, zu beteiligen und die Chancen von Industrie 4.0 für Beschäftigung und Qualifikation besser zu nutzen. Denn Betriebsräte können nur gestalten, wenn sie einen starken Rückhalt in der Belegschaft haben.

Wie sieht „Industrie 4.0“ in der Praxis aus? 

Die Firma Schrader Industriefahrzeuge in Essen (190 Beschäftigte), Vertragshändler bei Linde, stattet deren Gabelstapler seit Jahresanfang mit einer Blackbox aus. Über sie empfängt Schrader Mitteilungen über Fehlfunktionen des Fahrzeugs und erfährt, wann die Wartung des Staplers fällig ist. Die Geschäftsführung aber ordnet das noch keineswegs als Industrie 4.0 ein. Ein intensiver Dialog über die Folgen für Arbeit und Beschäftigung sei notwendig und werde angestrebt, berichtete Holger Kowol, Betriebsrat bei Schrader.

Auch bei Gira in Radevormwald (1200 Beschäftigte) wird ein kontinuierlicher Dialog mit der Geschäftsführung angestrebt, das komme in der „operativen Hektik“ häufig zu kurz, sagte Betriebsrat Markus Sieling. Die Firma stellt Schalter und Stecker zur Gebäudeautomatisierung her und baut ein neues Werk, in dem eine durch technische Systeme gesteuerte Produktion vom Kundenauftrag bis zur Auslieferung geplant ist. 

Ähnliches passiert bei Pronorm Einbauküchen in Vlotho, berichtete Peter Engel: Möbelfachmärkte sollen künftig die Einbauküchen-Wünsche ihrer Kunden direkt in die Fertigung eingeben können. 

Die Betriebsrätin Daniela Mohr von Wilo in Dortmund (1800 Beschäftigte), Weltmarktführer in der Herstellung modernster Pumpensysteme, erwartet umfangreiche Veränderungen der Arbeitsbedingungen. Wilo expandiert und baut derzeit neue Produktionshallen, die mit neuester digitaler Technologie ausgestattet sein werden. Hier sei wichtig, dass die Beschäftigten beteiligt werden und mitgestalten können, damit die innovative und intelligente Fabrik sowohl dem Unternehmen als auch den Beschäftigten Chancen bietet.

"Der Arbeitgeber erkennt, dass er uns braucht"

Von einer prägenden Erfahrung berichtete Pietro Bazzoli, Betriebsratsvorsitzender von Siemens in Mülheim: Dort hat der Betriebsrat die Beschäftigten der verschiedenen Bereiche – Forschung und Entwicklung, Produktion und Vertrieb – darin unterstützt, enger zusammenzuarbeiten. Das Ergebnis: Die Wertschätzung der Beschäftigten untereinander und ihr Zusammenhalt ist gewachsen – und den Auslagerungsplänen der Geschäftsführung konnten Alternativen entgegengesetzt werden und so hunderte Arbeitsplätze am Standort erhalten bleiben. 

Bemerkenswert ist auch, was Erich Bullmann berichtete, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von Trilux in Arnsberg, wo der Betriebsrat in der Belegschaft Akzeptanz für Weiterbildung mit Blick auf Industrie 4.0 geschaffen hat: „Der Arbeitgeber erkennt, dass er uns braucht“, sagte Bullmann, „und deshalb können wir Forderungen stellen, die erfüllt werden.“ Trilux in Arnsberg – das sind fünf Gesellschaften, von denen bislang nur vier einen Tarifvertrag hatten. „Jetzt ist auch der Vertrieb tarifgebunden“, sagte Bullmann.

Geballte Kompetenz

Bislang beteiligen sich die Betriebsräte von 14 Firmen am IG Metall-Projekt „Arbeit 2020“. Gemeinsam mit den Beschäftigten und Vertretern der Unternehmensleitung wollen sie die Entwicklung von intelligenten Produkten und Produktionsweisen so gestalten, dass gute Arbeit und wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand gehen. 

Das Projektteam „Arbeit 2020“ der IG Metall bestand bisher aus Gabi Schilling (Koordinatorin, Bild 10), Wolfgang Nettelstroth und Sonja Wichmann. Das Team wird jetzt verstärkt durch Reinhard Röhrig und Patrick Loos. Das Team „Arbeit 2020“ arbeitet zusammen mit der Technologieberatungsstelle (TBS) des DGB NRW, der Beratungsfirma Sustain Consult und dem Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni Duisburg-Essen.

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