Seine Arbeitszeit selbst bestimmen
„Mein Leben, meine Zeit: Arbeit neu denken.“ Unter diesem Motto hat die IG Metall NRW eine Arbeitszeit-Kampagne gestartet.
Das Ziel steht fest: Die Beschäftigten sollen über ihre Arbeitszeit weitgehend selbst bestimmen können, ihr individueller Anspruch darauf soll kollektivrechtlich – also per Tarifvertrag – abgesichert werden. Die Wege zur neuen Zeitsouveränität dürften so verschieden sein wie die Wünsche und Bedürfnisse der Beschäftigten.
„Wir wollen beteiligungsorientiert über Arbeitszeitgestaltung diskutieren – ausgehend von den Interessen der Beschäftigten“, erklärte Tarifsekretär Richard Rohnert heute auf der IG Metall-Bezirkskonferenz in Düsseldorf. Rohnert ist zuständig für die Metallindustrie, Bezirkssekretärin Carmen Schwarz fürs Metallhandwerk. Ihrer Meinung nach spricht das Thema Arbeitszeit Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen an, „das ist mobilisierungsfähig“, sagte sie in einem moderierten Tischgespräch zu Beginn der Konferenz: „Die einen wollen die 35-Stunden-Woche verteidigen, die anderen hätten sie gerne.“
Tarifsekretär Christian Iwanowski ist in der Holz-Kunststoff-Branche unterwegs. Er rechnet mit starkem Widerstand der Arbeitgeber: „Sie wollen zurück zur 40-Stunden-Woche und gleichzeitig die Löhne drücken.“
Arbeitszeitpolitisch sei die IG Metall in der Defensive, räumte Richard Rohnert ein; sie habe „ein Umsetzungsdefizit“, die 35-Stunden-Woche sei längst nicht überall Realität. Skandalisiert werden müsse, dass massenhaft Arbeitsstunden nicht erfasst und nicht bezahlt werden.
Die große Beschäftigtenbefragung der IG Metall von 2013 hat ergeben, dass 51 Prozent der Facharbeiter und 39 Prozent der Kaufmännischen Angestellten sich die 35-Stunden-Woche wünschen, aber nur 35 Prozent der Ingenieure. Eine etwas kleinere Gruppe von Ingenieuren wünscht sich die 40-Stunden-Woche.
Die Renaissance der Arbeitszeitgestaltung
Der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann (Foto 1) sagte, es habe sich „Handlungsbedarf aufgestaut“. Das Thema Arbeitszeitgestaltung sei der IG Metall „zunehmend aus den Händen geglitten“. Seit 1995 habe es „keine konzertierte Arbeitszeitpolitik“ mehr gegeben. Das Interesse an flexibler und selbstbestimmter Arbeitszeit sei aber gewachsen. Es bestehe Bedarf an lebensphasenorientierten Arbeitszeitmodellen, an Vereinbarkeit von Beruf und Familie, an Alters- und Bildungsteilzeit, an ein Recht auf Rückkehr in Vollzeit. Das alles und mehr müsse die IG Metall „besser unterstützen“.
Wie, das solle jetzt breit diskutiert und Mitte 2017 auf einem Arbeitszeitkongress beschlossen werden, sagte Hofmann. In der Diskussion gingen die Meinungen weit auseinander – und reichten von „ist für uns kein Thema“ über „Beschäftigungssicherung ist wichtiger“ bis „diese Debatte kommt genau zur richtigen Zeit“, denn „Arbeitszeitkonten stehen auf Rot – und nix passiert“. Andere Argumente lauteten: „Wir sollten Beschäftigten helfen, ihrer Arbeitszeit Grenzen setzen zu können“ und „Lasst uns aus den Wünschen der Beschäftigten nach mehr Zeitsouveränität tarifliche Ansprüche machen!“
Metaller arbeiten länger
Am ersten Konferenztag berichtete der Arbeitsmarktforscher Steffen Lehndorff (Foto 8) vom Institut Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen, dass ausgerechnet in der Metall- und Elektroindustrie die gewöhnliche Arbeitszeit vielfach 40 Wochenstunden betrage – und damit länger sei als in der Gesamtwirtschaft. Die Dauer der Vollzeitarbeit liege auf demselben Niveau wie 1988, sagte Lehndorff. Die Delegierten diskutierten dann in zehn Arbeitsgruppen über Arbeitszeitgestaltung (Fotos 9-12).
Lehndorff sprach von einer „neuen Vielfalt bei den Arbeitszeiten“: So arbeiten 20 Prozent der Männer unter 20 Wochenstunden, mehr als 45 Prozent 40 Stunden und etwas unter 10 Prozent 49 Stunden und mehr. Interessant ist auch diese Feststellung: „Je selbstbestimmter jemand arbeitet, desto länger arbeitet er.“ Mehreren Untersuchungen zufolge arbeiten Beschäftigte mit festen Arbeitszeiten drei Überstunden pro Woche; wer Gleitzeit macht oder ein Arbeitszeitkonto hat, arbeitet vier Stunden mehr – ebenso derjenige, dessen Arbeitszeit der Arbeitgeber flexibilisiert. Aber wer seine Arbeitszeit selbst bestimmt, bringt es auch acht Überstunden! Lehndorff plädiert für „kurze Vollzeit“, darin liege eine „Chance für alle“.
DGB will sich als politische Kraft der kleinen Leute profilieren
Der DGB-Vorsitzende von NRW, Andreas Meyer-Lauber (Foto 13), will, dass sich die Gewerkschaften stärker „als die politische Kraft der kleinen Leute profilieren“. Denn es gebe auch in ihren Reihen „politische Obdachlosigkeit“. In den USA, in Frankreich, Österreich und einigen osteuropäischen Ländern polarisiere sich die Gesellschaft. Und an Deutschland gehe diese Entwicklung nicht vorbei. „Ein erheblicher Teil der Bevölkerung setzt auf Nationalismus und Ausgrenzung statt auf Zusammenhalt und Toleranz.“ Darunter seien auch Gewerkschaftsmitglieder, „die sich öffnen für einfache, aber falsche Lösungen“. Ihnen müsse man überzeugende politische Angebote machen.