Protest gegen Knorr-Bremse in München
Beschäftigte von Knorr-Bremse in Wülfrath haben vor der Konzernzentrale in München protestiert. Sie befürchten die Verlagerung ihrer Produktion.
620 Kilometer bis München und wieder zurück: 35 Beschäftigte von Knorr-Bremse (KB) Steering Systems haben diese Strapazen heute auf sich genommen, um vor den Toren des Konzerns auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. Drinnen ging es um Bilanzen, draußen um die Existenz. Wie es in Wülfrath weitergehen soll, sagte der Vorstand ihnen nicht. Bei Knorr-Bremse hat das System.
„Ich bin von Knorr-Bremse total enttäuscht. Sie hatten versprochen, in unseren Standort zu investieren, aber letztlich ging es dem Vorstand wahrscheinlich nur um unsere Patente“, sagt die Betriebsrätin Martina Forst-Schlüter. Die 58-Jährige hat Angst um ihren Arbeitsplatz. Deshalb ist sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Nacht durchgefahren, um vor der Knorr-Bremse-Zentrale gegen die Hinhaltetaktik des Konzerns zu demonstrieren. Drinnen feierten sie bei der Bilanzpressekonferenz Zahlen; verliert Martina Forst-Schlüter jedoch ihren Job, „kann das am Ende für mich Hartz IV bedeuten“.
Aus der KB-Zentrale eilt Thomas Ertl zu den Demonstranten, er ist der Betriebsratsvorsitzende von KB System für Nutzfahrzeuge in München. Wülfrath sei überall, sagt er. „Kein Standort ist davor gefeit, dass der Vorstand nicht das Messer wetzt und die nächste Sparrunde einläutet.“ Er bedankt sich bei den Wülfrathern: „Ich sehe die Aktion hier vor Knorr-Bremse sehr positiv, weil der Vorstand sieht, dass sich Standorte nicht alles gefallen lassen.“
Das System Knorr-Bremse und das Beispiel Wülfrath
Vor drei Jahren hat sich Knorr-Bremse in Wülfrath eingekauft. Dort produzieren die 400 Beschäftigten Lenksysteme für Fahrzeuge, entwickeln und bauen aber auch innovative Systeme für autonomes Fahren. „Vor dem Kauf gab es auch ausländische Interessenten. Wir haben jedoch viel Hoffnung in die deutsche Knorr-Bremse gesetzt, weil wir als tarifgebundenes Unternehmen autonomes Fahren gemeinsam mit der Geschäftsleitung entwickeln wollten“, erinnert sich der Betriebsratsvorsitzende Ahmet Yildiz.
„Sie haben uns immer wieder falsche Versprechungen gemacht. Deshalb wollen wir endlich wissen, was der Vorstand mit unserem Standort vorhat“, sagt Kadir Bicerik, seit 25 Jahren im Betrieb und Betriebsrat in Wülfrath. Doch der Konzern spielt auf Zeit. „Seit mehr als eineinhalb Jahren warten wir auf ein Zukunftskonzept für unser Werk“, erklärt Ahmet Yildiz. Gleichzeitig schafft Knorr-Bremse Fakten – in Asien.
Dort hat der Konzern den Geschäftsbereich Lenksysteme für Nutzfahrzeuge von Hitachi Automotive Systems in Japan und Thailand übernommen. Die Furcht unter den Beschäftigten ist groß, dass KB die Fertigung nach Asien verlagert und rund 300 Beschäftigte in Wülfrath ihren Arbeitsplatz verlieren. In Wülfrath, einer Stadt mit 22.000 Einwohnern, ist KB der größte Arbeitgeber.
Der unanständige Konzern
Erwirbt Knorr-Bremse ein Unternehmen, läuft das fast immer nach derselben Masche ab, weiß Sebastian Roloff, der Konzernbeauftragte der IG Metall für die Knorr-Bremse AG: „Sie kaufen, verschlechtern die Arbeitsbedingungen, rationalisieren und verlagern die Fertigung ins Ausland. Das darf keine Schule machen.“
Bei KB müssen die Beschäftigten 42 Stunden pro Woche arbeiten statt 35 Stunden wie in der Metall- und Elektroindustrie üblich – einen ganzen Tag mehr ohne Lohnausgleich.
Vor der Bilanzpressekonferenz hat die Geschäftsleitung in Wülfrath die für diesen Tag eingereichten Urlaubsanträge abgelehnt, um die Protestaktion in München zu schwächen. Dabei fahren die Beschäftigten Wochenendschichten, damit die Kunden von KB rechtzeitig beliefert werden. KB nimmt, Geben ist im Vorstand keine Kernkompetenz.
Von einem Unternehmen wie Knorr-Bremse erwartet die IG Metall, dass es sich fair gegenüber seinen Beschäftigten verhält und eine Sozialpartnerschaft lebt. Das aber wollen weder der Vorstandsvorsitzende Klaus Deller noch der alternde Firmenpatriarch Heinz-Hermann Thiele. Mit seinem Geschäftsgebaren verschafft sich Knorr-Bremse einen den Wettbewerb verzerrenden Vorteil. Steigt die Knorr-Bremse AG wie geplant in den M-Dax auf, ist es das einzige dort notierte Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, das nicht tarifgebunden ist – ein verheerendes Signal.