Zwei ziemlich verschiedene Freunde
Eine Begegnung der eher seltenen Art im Düsseldorfer Künstlerlokal „Malkasten“: Ex-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) stellte heute Abend das Buch von IG Metall-Vize Detlef Wetzel vor. Der Saal war mit rund 100 Gästen – überwiegend Metallern – voll besetzt.
Moderator Jürgen Zurheide fackelt nicht, sondern sagt, „ohne rote Ohren zu bekommen: Das ist ein sehr lesenswertes Buch“. Weil es Missstände beschreibe und dazu ermutige, sie zu beseitigen. In Deutschland gebe es „zu wenig von dieser Art Literatur“.
CDU-Mann Rüttgers war – wie er sagt – überrascht und erfreut, als er gefragt wurde, ob er Wetzels Buch vorstellen würde. Später deutet Wetzel an, warum er bei Rüttgers anfragen ließ: Es gebe Politiker, die bei Firmenpleiten „pflichtschuldig“ reagieren – und solche, die „eine starke Verbindung zum Thema“ haben. Für wen er Rüttgers hält, muss er nicht sagen. Das Stichwort BenQ genügt. Die meisten Zuhörer wissen, dass 2006 der damalige IG Metall-Bezirksleiter und der damalige Ministerpräsident oft gemeinsam in Kamp-Lintfort vor den Betroffenen gesprochen und sich für sie eingesetzt haben.
Wetzels Konfliktbereitschaft geht Rüttgers zu weit
Rüttgers referiert den „Werdegang eines Gewerkschafters“ (so der Untertitel des Buches). Nur einen Punkt merkt er kritisch: Wetzels vielzitierte Konfliktbereitschaft geht ihm ein bisschen zu weit. Die Gegenüberstellung von Gewerkschaft einerseits und Reichen andererseits – „Wir sind die Guten, die anderen die Bösen“ – löse die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht. Zumal Facharbeiter zu den Besserverdienenden zählten und er, Wetzel, zur Elite in Deutschland.
„Mehr Gerechtigkeit wagen“ – der Buchtitel ist ein Rückgriff auf Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ – sei „ein gutes Buch“, sagt Rüttgers. Es verdiene Zustimmung und Widerspruch, „nicht nur von Mitgliedern der IG Metall“.
Der Autor erklärt, warum er das Buch geschrieben hat. Er wollte in Worte fassen, was ihn aufregt und antreibt, aufgrund welcher Erfahrungen er zu welchen Schlussfolgerungen kommt. Was die Beweggründe seines Handelns sind und auf welchen Wegen er was anstrebt. Um Weihnachten 2011 hat er seine Notizzettel im Wohnzimmer ausgebreitet, so dass beinahe der Weg zum Weihnachtsbaum versperrt war, hat die Zettel dann sortiert und den Inhalt diktiert.
Ungleichheit schadet der Demokratie und der Wirtschaft
Wetzel prangert die Spaltung der Gesellschaft in oben und unten an. Sie gefährde nicht nur die Demokratie, sondern auch den wirtschaftlichen Erfolg. „Demokratie braucht ein Mindestmaß an Gleichheit“, sagt der IG Metall-Vize. Jetzt sei die Ungleichheit „in der Mitte der Gesellschaft“ angekommen. Insofern sei die Zeit günstig, „dem Pendel der Geschichte eine andere Richtung zu geben“. Er würde gern „den Menschen das Gefühl zurückgeben, dass es um sie geht“. Konkret: Wenn ein Betrieb, der Gewinn macht, stillgelegt wird, müssten die Betroffenen gefragt werden.
Eine bessere Gesellschaft, so Wetzels Credo, ist „nur über mehr Beteiligung möglich“.
„Mehr Gerechtigkeit wagen“ ist bei Hoffmann und Campe erschienen, hat 239 Seiten und kostete 19,99 Euro.