Aktuelles Industrielle Arbeit 2020
01/09/2016

Arbeit 4.0 – an einem Strang ziehen

Deutliche Gemeinsamkeiten bestehen zwischen der Landesregierung und den Sozialpartnern in Nordrhein-Westfalen, wenn es um Arbeit 4.0 geht.

Das zeigte sich heute bei der ersten Großveranstaltung der Allianz „Wirtschaft und Arbeit 4.0“ in der Stadthalle Neuss. Die Allianz ist Mitte April von der NRW-Regierung und Vertretern der Gewerkschaften, der Wirtschaft und der Wissenschaft gegründet worden; IG Metall-Bezirksleiter Knut Giesler zählt zu den Gründungsmitgliedern.

Vor 500 Gästen forderte Giesler mehr Mitbestimmung und eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, um die neue Arbeitswelt – Arbeit 4.0 – gestalten zu können. Für diese Forderung kassierte Giesler viel Applaus und ein Widerrede: von Luitwin Mallmann, dem Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände; er bestritt die Notwendigkeit einer Gesetzesreform. 

Dann aber sagte Mallmann einen Satz, der auch von Giesler hätte stammen können: „Wer sein Unternehmen ohne seine Belegschaft oder gar gegen sie digitalisieren will, der wird nicht weit kommen.“

Wenn über Industrie 4.0 und die Arbeitswelt von morgen gesprochen wird, steht die Gretchenfrage im Raum: Was überwiegt – die Chancen oder die Risiken? Gehen Arbeitsplätze verloren oder entstehen neue? „Arbeit schaffen – das muss im Mittelpunkt unserer Diskussion stehen“, sagte Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD). Er wolle deshalb noch mehr Start Ups nach NRW holen und bis 2018 eine Milliarde Euro investieren, „damit wir ein schnelles Internet bekommen“. 

Übereinstimmend sagten Arbeitsminister Rainer Schmeltzer (SPD) und IG Metall-Chef Knut Giesler, sie wollten die Zahl der Arbeitsplätze erhalten sowie gute und faire Arbeitsbedingungen durchsetzen. „Hände weg vom Arbeitszeitgesetz!“, sagte Schmelzer – und schüttelte heftig den Kopf, als Arbeitgebervertreter Mallmann laut darüber nachdachte, dass „ein Arbeitnehmer sich abends um elf aus freien Stücken noch einmal an den Computer setzt“. 

Mallmann betonte die Notwendigkeit von Weiterbildung im Zusammenhang mit Arbeit 4.0: „Wir müssen nachqualifizieren“, sagte er, „ohne betriebswirtschaftlichen Schaden anzurichten.“ „Und ohne dass die Menschen Geld verlieren“, ergänzte Knut Giesler. 

„Wer bildet die Chefs weiter?“, frage Wirtschaftsminister Duin. Von den 750 000 Unternehmen im Land seien 90 Prozent Familienunternehmen. Und denen fehlt oft die Zeit, das Geld oder das Interesse, sich mit dem  Thema Industrie 4.0 zu beschäftigten. „Bleiben Sie mir weg damit, ich muss Blech biegen und Geld verdienen“ – so zitierte Prof. Hartmut Hirsch-Kreinsen von der TU Dortmund eine Unternehmerin. 

Der Sozialwissenschaftler zählt zu den Optimisten, er betont die Chancen von Industrie 4.0, ohne die Risiken zu ignorieren. Die Umbrüche in der Arbeitswelt seien gestaltbar, sagte er; Arbeit 4.0 komme den Wünschen der Beschäftigten nach mehr Zeitsouveränität entgegen und könne für „eine bessere Work-Life-Balance“ sorgen. Gute digitale Arbeit sei sogar die Voraussetzung für weitere Innovation. Dem stimmte Prof. Sabina Jeschke von der RWTH Aachen zu. Innovation sei vor allem „eine Frage der Unternehmenskultur, von Offenheit“. Jeschke baut Roboter und beschäftigt sich mit Künstlischer Intelligenz, für sie ist Industrie 4.0 eine Revolution. 50 Prozent der Arbeitsplätze würden von dieser Entwicklung betroffen sein, Deutschland müsse sich „komplett neu aufstellen“. Autos seien eigentlich keine Autos mehr, sondern „Computer auf Rädern“. Und die Auffassung, Computer könnten niemals kreativ sein, sei „falsch“.

Hirsch-Kreinsen sieht daneben aber auch die Gefahr der Kontrolle und Überwachung der Mitarbeiter. Sie könne, sagte er, „ein großes Thema werden“. Hier bestehe Regelungsbedarf.

Stefan Köster, der Betriebsratsvorsitzende von EMG Automation in Wenden bei Olpe, schilderte aktuelle Probleme: „Die Gefahr, dass Arbeitsplätze verloren gehen, sehen wir nicht“, sagte er bei der von IG Metall-Bezirkssekretärin Gabi Schilling moderierten Vorstellung des Projekts Arbeit 2020. Viele Mitarbeite klagten jedoch über Arbeitsverdichtung und darüber, nicht ausreichend qualifiziert zu sein. Eine handfeste Vorstellung davon, was Industrie 4.0 konkret bedeutet, vermittelte Frank Kirchner, Betriebsratsvorsitzender von Schrader Industriefahrzeuge (Hauptsitz Essen): „Früher habe ich einen Schraubenschlüssel gebraucht, um einen Gabelstapler zu reparieren, heute ein Notebook.“ Damit seien völlig neue Qualifikationen gefragt.

Nicht nur bei EMG und Schrader packen die Betriebsräte diese Herausforderungen offensiv an. Im Projekt „Arbeit 2020“ arbeiten derzeit 20 Betriebsräte gemeinsam mit IG Metall, NGG, IG BCE, DGB, Wissenschaftlern, Beratern und ihren Geschäftsführungen an beispielhaften Lösungen für gute und sichere Arbeitsplätze.

Ihren Zugang zur Bewertung der 4.0-Umbrüche im jeweiligen Betrieb verschaffen sie sich mit der „Betriebslandkarte – Arbeit 4.0 fair gestalten“. Ein Kurzanleitung hierzu gibt es jetzt ganz neu als Broschüre, anzufordern bei der IG Metall NRW: sonja.wichmann@igmetall.de.

Arbeit 2020 – Ein Gemeinschaftsprojekt von DGB, NGG, IG Metall und IG BCE, gefördert durch die Europäische Union – ESF und das Arbeitsministerium NRW.

Mehr Infos

Tags Industrielle Arbeit 2020